Feminist_innen kennen kein Vaterland. Feminismus bleibt antirassistisch!

imag1956_1Unser Redebeitrag vom 29.01.16 anlässlich des AFD Neujahrsempfangs in Reutlingen

Sexismus heißt das Problem. Feminismus bleibt antirassistisch!“

Ich spreche für die QueerFeministische AG der iL Tübingen. Wir wurden angefragt, hier heute einen QueerFeministischen Blick auf die Ereignisse in der Silvesternacht in Köln und deren Instrumentalisierung von Rechten und Reaktionären zu werfen.

Insbesondere die AfD tut sich in dieser Debatte hervor und versucht aus den Ereignissen direkt Kapital zu schlagen: Frauke Petry schreibt „Massenhafter Missbrauch in Köln erinnert an rechtlose Zustände zum Kriegsende“, Björn Höcke spricht von Ausländermobs, die Frauen angreifen. Und für Alexander Gauland, der heute hier in Reutlingen im Spitalhof redet, gehören die Menschen die für die Übergriffe verantwortlich sind, nicht in unsere Gesellschaft und gehörten so schnell wie möglich abgeschoben. Solche Aussagen sind keine Randmeinungen – sie prägen den aktuellen Diskurs.

Als linke Feminist_innen haben wir um Worte gerungen, nachdem sich die politischen und medialen Ereignisse in den ersten zwei Januarwochen überschlugen – auch um dagegen sprachfähig zu werden. Heute wollen wir drei Punkte unserer Diskussion herausstellen:

ALS ERSTES drücken wir unsere uneingeschränkte Solidarität mit all denjenigen aus, die in der Silvesternacht sexualisierte Gewalt erfahren haben. Wir müssen diese Erfahrungen ernst nehmen, wir dürfen sie nicht klein reden, bagatellisieren oder versuchen, sie weg zu erklären.

ALS ZWEITES wehren wir uns dagegen, dass nach Köln zwar laut und ausgiebig über Gewalt gegen Frauen debattiert wird, aber der Kern des Problems der Kölner Silvesternacht nicht benannt wird. Das eigentliche Problem heißt Sexismus. Und Sexismus ist nicht erst seit der Silvesternacht auf der Kölner Domplatte ein Problem.

Sexismus ist Alltag in Deutschland: Eine Studie von 2014 stellt fest, dass mehr als 50% der Frauen in der BRD sexualisierte Gewalt erfahren haben. Jede siebte Frau wurde vergewaltigt. Die Dunkelziffer allerdings liegt viel viel höher, da die meisten Taten nicht angezeigt werden.

Die übliche Tätergruppe so stellt die Studie fest, ist das nahe Umfeld der Betroffenen: der Partner, der Vater, der Bruder, der Onkel, der nette Nachbar von nebenan, der Mitbewohner, usw. Knapp 80% der Fälle sexualisierter Gewalt spielen sich in dieser Tätergruppe ab. Zu den restlichen Prozenten zählen massenhafte sexuelle Übergriffe an Karneval oder auf dem Oktoberfest, auf Partys, auf der Straße oder am Arbeitsplatz.

Festzuhalten ist, dass neben Frauen, auch andere von der Gesellschaft marginalisierte Gruppen von sexualisierter Gewalt betroffen sind: Dazu gehören beispielsweise Menschen mit Behinderung, Geflüchtete oder LGBTI* – also Lesbisch, Schwule, Trans oder Inter Personen.

Sexualisierte Gewalt, über die nicht gesprochen wird, ist traurige Realität in der BRD. Sie ist ein Teil und Ausdruck der patriarchalen Machtverhältnisse dieser Gesellschaft

ALS DRITTTES wehren wir uns dagegen, dass Sexismus und sexualisierte Gewalt instrumentalisiert werden

Zu alleinigen Tätern sexueller Gewalt werden die Anderen die Geflüchteten, der sogenannte „Schwarze Mann“ gemacht.

Dies ist eine perfide Problemverschiebung mit der rassistische Ängste geschürt werden.

Dahinter liegen klare politische Absichten: mehr Abschiebungen, repressivere Maßnahmen gegen Geflüchtete, mehr Überwachung, mehr Abschottung

Was daraus folgt, haben wir in den letzten drei Wochen beobachten können:

  • rassistische Mobilisierungen und Ausschreitungen von rechtspopulistischen und neonazistischen Strukturen

  • selbsternannte „Bürgerwehren“, die die sogenannte deutsche Frau beschützen wollen

  • rechte Übergriffe und alltägliche rassistische Diskriminierung gegen Geflüchtete und Menschen mit tatsächlichem oder vermeintlichen Migrationshintergrund

  • Ein unbegründetes allgemeines Misstrauen und ein Generalverdacht gegenüber Männern, die als arabisch oder nordafrikanisch gelesen werden

    Dieser unverholene offene rassistische Diskurs ist ein weiterer Nährboden für die AfD.

Deswegen sagen wir aus einer feministischen Perspektive:

  • Wir brauchen keine Asylgesetzverschärfung. Was wir brauchen ist eine Verschärfung des Sexualstrafrechts. Es kann nicht sein, dass sexuelle Belästigung in der BRD immer noch keine eigenständige Straftat ist. Es kann nicht sein, dass eine Vergewaltigung nur strafbar ist, wenn sich die betroffene Person ausreichend zur Wehr gesetzt hat.

  • Wir brauchen auch keine Ratschläge, wie zum Beispiel, dass Frauen auf Großveranstaltungen lieber Hosen statt Röcke tragen sollten, keine tiefen Ausschnitte oder Menschenmengen nur in Gruppen betreten. Solche Ratschläge verkehren die Situation: Betroffene von sexualisierter Gewalt tragen daran niemals eine Mitschuld.

  • Stattdessen brauchen wir ein gemeinsames und solidarisches Vorgehen gegen sexualisierte Gewalt – egal welches Geschlecht wir haben. Das heißt zum einen praktisch einzuschreiten, sich gemeinsam zu wehren. Das heißt zum anderen sexualisierte Gewalt als Ausdruck von patriarchalen Herrschaftsverhältnissen zu begreifen und zu thematisieren.

  • Wir müssen dabei unsere eigenen rassistischen und sexistischen Bilder und Vorurteile reflektieren, um sie abzulegen. Sexismus und Rassismus sind nicht die Problem der „Anderen“ – sondern ein Teil dieser Gesellschaft und damit auch von uns erlernt.

  • Wir brauchen ausreichend finanzierte Hilfesysteme, also Frauenhäuser und Beratungsstellen. Diese sind in der BRD chronisch unterfinanziert.

  • Vor allem brauchen wir keine rassistisch aufgeladene Debatte und auch nicht den rassistischen Müll, der hier heute im Spitalhof von der AfD verzapft wird. Wir brauchen eine ehrliche Debatte über Sexismus.

Feminist_innen kennen kein Vaterland. Feminismus bleibt antirassistisch!