Eine (2.) Mitteilung der Interventionistischen Linken (IL).
Eigentlich wollten wir von der Möglichkeit eines Europäischen Frühlings sprechen. Wir wollten von Syriza, von den Wahlen in Griechenland und von dem sprechen, was wir hier dazu tun können. Es sollte dabei nicht einfach um unsere Solidarität mit den Kämpfen in Griechenland gehen, sondern um uns, um unsere eigenen Möglichkeiten. Dann kamen die religiös-fundamentalistischen Anschläge von Paris, dann kam die Antwort von Millionen Demonstrant_innen nicht nur in Paris. Jetzt müssen, jetzt wollen wir von all’ dem zusammen sprechen: weil das eine vom anderen nicht zu trennen ist. Und natürlich bleibt auch das jetzt provisorisch und fragmentarisch. Es wird uns so oder so länger in Atem halten. Einfacher ist der Europäische Frühling nicht zu haben.
I.
Die Anschläge von Paris waren ein Angriff auf alles, was in Europa und in der Welt seit 1789 und seit 1968 möglich geworden ist. Das ist die Frontstellung der Attentäter. Die Schüsse in den Räumen von „Charlie Hebdo“ und in einem jüdischen Supermarkt zielten auf die Möglichkeit selbst unserer Freiheiten. Darüber dürfen wir uns nicht täuschen. Da gibt es auch nichts zu relativieren. Da zählt kein Verweis auf die Verheerungen des westlichen Krieges gegen den Terror, kein Verweis auf den institutionellen wie den alltäglich gelebten Rassismus innerhalb der europäischen Gesellschaften, ob nun in Frankreich oder auch bei uns. Das haben letztlich Millionen Menschen spontan begriffen. Nicht wenige haben auch an die ungezählten Toten in Nigeria und in Syrien gedacht, sie haben sich des Schicksals der Yezid_innen erinnert und an den kurdischen Kampf um Rojava gedacht. Vielleicht war mehr Leuten als wir zunächst denken mögen auch klar, dass es Fundamentalismen nicht nur im Islam gibt, und dass es nicht nur religiöse Fundamentalismen gibt. Viele der Demonstrant_innen haben unmissverständlich gesagt, dass sie weder mit dem Front National noch – in Deutschland – mit Pegida verwechselt werden wollen. Das ist gut so, davon dürfen wir ausgehen.
Das ist aber nicht alles. Denn die Millionen von Paris und die Abertausenden anderswo haben sich im selben Augenblick auch hinter der Partei der Ordnung versammelt: hinter der Kaste der französischen, deutschen und aller anderen beteiligten Regierungen. Hinter allen, die sich schamlos an die Spitze der unübersehbaren Menge stellten. Damit sind die Demonstrant_innen einer Konfrontation beigetreten, in der sich der westliche Liberalismus, seine politische Ökonomie und seine Verbündeten einerseits und der Fundamentalismus andererseits gegenüberstehen (das schließt alle weißen Fundamentalismen ein). Große Teile der Menge haben das genau so gesehen. Vielen von ihnen war das ausdrücklich bewusst, sie wollen gar nichts anderes. Andere aber denken an dieser Stelle gar nichts Besonderes, fragen sich deshalb auch gar nicht, ob sie vielleicht etwas Anderes wollen könnten. Das genau ist unser Problem.
II.
Nicht erst seit den Pariser Anschlägen, sondern seit längerem schon herrscht der Anschein, als ob der „Hauptwiderspruch“ in der Welt die Ordnung (den Liberalismus) und das Chaos (voran die verschiedenen Fundamentalismen) voneinander trennt. Das liegt daran, dass es seit längerem schon für viele Menschen gar keine dritte Möglichkeit zu geben scheint. Die reaktionäre Gewalt des islamischen „Gotteskriegers“ trifft auf das nahezu gottgegebene Monopol einer hegemonialen zynischen Vernunft. Das Zerstörungspotential dieser Vernunft und die totalitäre Machtkonzentration ihrer technologischen Apparate sind historisch unvergleichlich, suggerieren aber noch immer mit Erfolg, das realisierbare Höchstmaß individuellen Glücks bereitzustellen. Die Parteien der westlichen, liberalkapitalistischen Ordnung wiederholen deshalb unablässig und bei jeder passenden Gelegenheit, dass es zu ihnen keine Alternative gäbe. Die Rationalität eines Verfassungsschutzberichts wird so zum politischen Leitbild einer Gesellschaft der Angst und der Verängstigten. Weil in unseren Gesellschaften religiöse und ethnische Konflikte tatsächlich zu explodieren drohen, scheint der Wunsch nach Ordnung nicht von vornherein und in jedem Fall abwegig.
Weil das so ist, gehören für viele, für sehr viele Menschen auch alle anderen Krisen und alle sozialen Kämpfe der Gegenwart auf die Seite des Chaos, auf die Gegenseite zur real existierenden kapitalistischen Ordnung. Hier in Europa schließt das seit sieben Jahren die „Schuldenkrise“ ein. Deshalb zählen in Deutschland wie in Frankreich für viele auch „die Griechen“ zum Chaos der europäischen Banlieue. Nicht, dass man sie mit den religiösen Dschihadist_innen von Paris verwechselt. Doch Syriza, eine von Syriza gebildete Regierung: auch das wäre Chaos, eine Unterbrechung der Ordnung. Zu der aber gibt es keine Alternative. Also ist das schlecht. Also halten viele weiter zur Partei der Ordnung. Sie tun das, obwohl sie wissen, dass ihnen diese Ordnung früher erkämpfte Möglichkeiten eines würdevollen Überlebens und früher erkämpfte Rechte genommen hat. Dass sie ihnen schon gar keine neuen Möglichkeiten sozialen Lebens und keine neuen Rechte mehr einräumen will.
III.
In Griechenland selbst, aber auch in Spanien ist das etwas anders. Dort sehen viele, vielleicht sogar eine Wahlmehrheit in Syriza bzw. in Podemos eine Chance, ihre eigene Chance. Sie sehen eine dritte Möglichkeit, eine linke Möglichkeit, die Möglichkeit einer gesellschaftlichen Alternative jenseits der schändlichen, von der EU aufgeherrschten Austeritätspolitik. Dabei führt der Pfad der Hoffnung nicht allein und nicht zuerst über Parteien und Parlamente. Wer ihn geht, folgt dem subjektiven und sozialen Verlangen nach einem tatsächlichen Umbruch, einer Flucht aus dem Labyrinth des Schuldenregimes. Insoweit sind Syriza und Podemos Platzhalter der gesellschaftlichen Wünsche, die in der „Bewegung der Empörten“ in Spanien und auf dem Syntagma-Platz im Herzen von Athen Geschichte schrieben: „Die Parteienpolitiken sind am Ende, es lebe die Politik des Gemeinsamen!“ Diese neue Gesellschaftlichkeit trägt Syriza noch als Wahlpartei. In ihr hat die Solidarität mit den Migrant_innen und Geflüchteten einen Ort. Zu ihr gehört auch die revolutionäre Leidenschaft der antiautoritären Revolte, die im Herbst letzten Jahres den Hungerstreik des anarchistischen Gefangenen Nikos Romanos massenhaft unterstützte. Sie macht die Wahl am 25. Januar zu einem realen Referendum.
Wer auf Syriza setzt, wer an ihrer Seite seine eigenen Möglichkeiten sieht, hat die griechischen Parteien der Ordnung ebenso abgewählt wie den Faschismus der Goldenen Morgenröte. Dabei muss uns niemand über die institutionellen Grenzen einer Wahl aufklären. Daher: Alles, was nach dem Tag der Wahl kommt, bleibt ein Wagnis, das scheitern kann, wie andere linke Projekte im vergangenen Jahrtausend. Den Willen zum Bruch mit der Ordnung entmutigt das nicht. Darin liegt die politische Bedeutung des 25. Januar. Das macht die nationale Wahl in Athen zum sozialen Referendum über die Grenzen des Berliner Kommandos.
Jetzt sind wir bei dem Punkt, mit dem wir eigentlich anfangen wollten. Wir wollten von Syriza (und Podemos) als dem Beginn eines europäischen Frühlings sprechen. Wir wollten uns selbst und andere unter die Forderung stellen, diesen Frühling auch hier beginnen zu lassen. Wir wollen das auch jetzt noch, auch und gerade nach Paris. Gegen die deutschen Parteien der Ordnung, gegen Pegida-Kameradschaften. Gegen die Attraktivität des islamischen Fundamentalismus auch in den Kampfzonen der Bundesrepublik, gegen den War on Terror und sein Sicherheitsregime.
Jetzt gibt es auch hier täglich Demonstrationen gegen die Anschläge von Paris und gegen Pegida. Auch hier werden sie von den Parteien der Ordnung einberufen, auch hier kommt stets die Kaste der Repäsentant_innen zu Wort. Noch einmal: Das ist unser Problem. Wie eröffnen wir auch hier eine dritte Option jenseits der kapitalistischen Ordnung und des fundamentalistischen Chaos? Jenseits des Krisenregimes der Verarmung und Entwürdigung, jenseits der Austeritätsidiotie. Jenseits auch unserer selbstreferenziellen Milieus. Was heißt heute radikale gesellschaftliche Linke? Diese Frage wollen wir mitbeantworten, weil sie sich allen stellt. Das ist es, was wir zu tun haben. Sonst braucht es auch keine IL. So einfach ist das.
IV.
Wir sind nicht in Athen, fangen aber auch nicht bei Null an. Wir haben dazu aufgerufen, die Eröffnung der EZB in Frankfurt zu blockieren. Wir haben damit eine erste Antwort gegeben. Tausende sind mit uns nach Frankfurt gekommen, 2012, 2013, 2014. Die Menge, die sich über lange Stunden hinweg gegen die Gewalt der Polizei behauptet hat, erfuhr eine Woche später Zuspruch von vielen, die nicht dabei waren. Am 18. März ist es soweit: Die EZB wird an diesem Tag ihren Umzug an den Main feiern, sie wird sich feiern. Die Parteien der Ordnung werden dabei sein. Sie werden die Wahl zwischen Ordnung und Chaos als das Entweder-Oder beschwören, zu dem es keine Alternative gibt. Sie werden Pegida als Teil des Chaos bezeichnen und Blockupy als linkes Pendant dieses Chaos. Sie werden den Abscheu, den viele Menschen vor Pegida empfinden, auf ihr Konto, auf das Konto der Ordnung verbuchen. Wir sind aufgerufen, wir rufen dazu auf, das zu verhindern und hier einen Unterschied zu setzen. Mit dem Aufbruch der griechischen Bewegungen und der Möglichkeit eines Wahlsieges von Syriza solidarisch zu sein heißt, einen solchen Aufbruch auch hier möglich werden zu lassen: in Bewegung, radikal, massenhaft und eingreifend. Aber bleiben wir bescheiden. Blockieren wir die EZB, blockieren wir Frankfurt: symbolisch verdichtet und materiell wirksam. Wählen wir die dritte Möglichkeit. Leben wir die schöpferische Vernunft im Antagonismus zur kapitalistischen Unvernunft. #18M.
18.01.2015
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