Anlässlich der europaweiten Aktionstage, die in Deutschland unter das gemeinsame Dach von Blockupy gestellt sind, fanden in Stuttgart am 17.05.2014 eine Demonstration mit 3000 Teilnehmenden sowie kreative Aktionen und Aktionen des Zivilen Ungehorsams auf der Konsummeile Königstraße zu den Themen Bekleidungsindustrie, Pflege und Care-Arbeit, Prekarisierung und Zeitarbeit sowie Tierausbeutung statt.
Die Stuttgarter Demonstration unter dem Motto „Macht Europa Anders – Für ein Europa von unten“ in Verbindung mit einem Kongress wurde vom Stuttgarter Bündnis „Wir zahlen nicht für Eure Krise“ schon geplant, bevor die europäische Blockupy-Vernetzung die europaweiten Aktionstage beschlossen hatte. Da das Stuttgarter Krisenbündnis selbst Teil von Blockupy ist und sich in die Vorbereitung und Durchführung der Aktionen noch süddeutsche Gruppen der interventionistischen Linken und schließlich mehrerer Blockupy-Plattformen einbrachten (Nürnberg/Fürth/Erlangen, Heilbronn, Mannheim, München, Freiburg, Tübingen-Reutlingen, Saar, Karlsruhe, Aschaffenburg), waren die Aktionen auch Ausdruck einer gelungenen süddeutschen Blockupy-Vernetzung.
Wie es leider inzwischen bei Blockupy-Aktionen schon Tradition ist (u.a. Kessel in Frankfurt 2013) begann der Aktionstag mit Repression: Im weiten Bereich um die Auftaktkundgebung war die Polizei massiv präsent und führte unter Androhung von Gewahrsamnahme Personalienkontrollen und Durchsuchungen durch. Im Hauptbahnhof wurden ankommende DemonstrationsteilnehmerInnen abgefangen, Busse aus Mannheim, Freiburg und Nürnberg wurden von der Polizei aufgehalten. Die VeranstalterInnen prüfen juristische Schritte gegen diese schikanösen Kontrollen und die Behinderung der Teilnahme an einer ordnungsgemäß angemeldeten Demonstration. Nachdem dieses Vorgehen der Polizei schon schlimmes für die Demonstration befürchten ließ und vom Lautsprecherwagen „Deeskalation sieht anders aus!“ gefordert wurde, lief die Polizei dann zwar stellenweise Spalier neben der Demonstration, hielt sich aber insgesamt für Stuttgarter Verhältnisse doch vergleichsweise zurück.
In Redebeiträgen u.a. von ver.di Stuttgart, der interventionistischen Linken, aus dem Widerstand gegen Stuttgart 21, aus der 15-M-Bewegung Madrid/Spanien, über die Situation in Griechenland wurden vielseitige Bezüge auf die europäische Krisenpolitik und deren verheerenden Auswirkungen auf die Daseinsfürsorge in den betroffenen Ländern, aber auch die globalen Ausbeutungsverhältnisse (z.B. Arbeitsbedingungen in der Bekleidungsindustrie) im Kapitalismus grundsätzlich gezogen und auf aktuelle Kämpfe gegen das Freihandelsabkommen TTIP, gegen Stuttgart 21 und andere unnütze Großprojekte, gegen Prekarisierung, für Gemeingüter (commons) und soziale Infrastruktur Bezug genommen.
In Gedenken an die toten Bergwerksarbeiter des durch Privatisierung und fehlende Sicherheitsmaßnahmen verursachten Grubenunglücks in Soma/Türkei wurde eine Schweigeminute eingelegt.
Auf der Demonstration waren zahlreiche Gruppen, Organisierungsansätze und Organisationen vertreten, u.a. ver.di, IG Metall, attac, linke GewerkschafterInnen, Parteien (LINKE, DKP, MLPD), DIDF, interventionistische Linke, NaO-Prozess, Perspektive Kommunismus, Ums Ganze,… Neben einem Bündnisblock gab es einen revolutionären Block, einen antinationalen Block, TierbefreierInnen, Samba-Aktivist*innen von Rhythm of Resistance aus verschiedenen Städten,…
Im großen Blockupy-Block wiesen viele Transparente auf die europäische Dimension des May of Solidarity hin, es gab unzählige bunte Regenschirme sowie Parolen und Sprüche auch auf Italienisch, Französisch und Englisch, die an die internationalen Blockupy-Demos in Frankfurt erinnerten.
In der Theodor-Heuß-Straße wurde die Deutsche Bank mit Farbbeuteln getroffen und damit als Krisenprofiteur markiert.
Nach der Abschlusskundgebung auf dem Marktplatz führte attac ein kleines Straßentheater zu TTIP auf, während sich andere Demonstrationsteilnehmende schon auf den Weg zu den anschließenden Aktionen machten.
Auf dem kleinen Schloßplatz legten sich rund 60 Pflegekräfte und UnterstützerInnen für 10 Minuten auf den Boden, um – in Anlehnung an die bundesweiten Flashmobs „Pflege am Boden“ – zu zeigen, dass sich die Beschäftigten mit der akuten Personalnot und der Überlastung in Krankenhäusern und Altenheimen nicht abfinden werden. MitarbeiterInnen aus verschiedenen Krankenhäusern schilderten ihre dramatische Situation vor Ort.
Etwa 50 Personen blockierten den Eingang eines H&M-Bekleidungsgeschäfts, um auf die miserablen Arbeitsbedingungen in den Produktionsländern aufmerksam zu machen. Vor dem Eingang wurde ein Transparent angebracht, auf dem „Made in Billiglohnländer. 100% Ausbeutung“ zu lesen war. Am 24. April jährte sich der verheerende Unfall in Bangladesh, bei dem mehr als
1100 Menschen starben. Die Protestierenden forderten von den europäischen Bekleidungsunternehmen, die den Tod der ArbeiterInnen mit zu verantworten haben, eine sofortige Entschädigung der Familienangehörigen der Opfer.
Auf der belebten Königstraße versammelten sich ca. 30-40 Personen zu einem Flashmob gegen die Zeitarbeitsfirmen Randstad und Diss. Mit Parolen, Flyern und einer kurzen Rede wurden die PassantInnen über die besonders krasse Ausbeutung in Zeitarbeitsfirmen aufgeklärt. Um die
Firmen etwas dauerhafter als Krisenprofiteur zu markieren und zu zeigen, dass die Ausbeutung hier beginnt, wurde der Eingangsbereich mit bunten Flyern gegen Kapitalismus und prekäre Beschäftigung verschönert.
Eine weitere Aktion wies auf die Situation in der Pflege- und Sorgearbeit (Care-Arbeit) hin. Diese Tätigkeiten, wie die Pflege von Kindern, Kranken und Älteren, werden äußerst schlecht entlohnt oder finden im Privaten statt, wo sie unbezahlt und meist von Frauen geleistet werden – ohne diese unbezahlten reproduktiven Arbeiten könnte der Kapitalismus nicht funktionieren. Mit Installationen aus Tischdecken und unterschiedlichsten Care-Arbeits-Utensilien (Windeln, Pflaster, Medikamente, Putzmittel, Nahrungsmittel,…) wurde das Unsichtbare sichtbar gemacht. Dazu waren Wäscheleinen mit Informationen gespannt und es wurden Flyer verteilt und Gespräche mit PassantInnen geführt.
Eine Aktion vor einem „Maredo Steakhouse“, die die verschärfte Ausbeutung von Tieren in der kapitalistischen Krise thematisieren sollte, wurde durch ein massives Polizeiaufgebot verhindert.
Insgesamt ein erfolgreicher Aktionstag in Stuttgart, auch wenn mehr Teilnehmende wünschenswert gewesen wären. AktivistInnen aus unterschiedlichsten Zusammenhängen kamen zusammen und setzen ein deutliches Zeichen der Solidarität im europäischen May of Solidarity.
Wir sehen uns spätestens mit vielen Aktivist*innen aus ganz Europa wieder im Herbst/Winter bei der neuen Europäischen Zentralbank in Frankfurt, wenn wir den Herrschenden bei der Eröffnung den roten Teppich wegziehen werden!
Weitere Berichte zu den europäischen Protesten in vielen Städten unter:
Pressespiegel:
http://www.kontextwochenzeitung.de/schaubuehne/164/stuttgart-vernetzt-2214.html