Seit über 100 Jahren gehen Frauen*[1] <#_ftn1> am 8. März, dem internationalen Frauen*tag, auf die Straßen. Dieser Tag wurde von der Kommunistin und Frauenrechtlerin Clara Zetkin initiiert. Bei den ersten Frauentagen wurde um Frauenwahlrecht, Arbeitsschutzgesetze, gleichen Lohn für gleiche Arbeit, Festsetzung von Mindestlöhnen, Mutter- und Kinderschutz gekämpft.
Durch die Kämpfe der globalen feministischen und queeren Bewegungen hat sich bereits einiges zum Positiven verändert. Einige der Forderungen von 1911 sind trotzdem immer noch brandaktuell. Frauen* werden weltweit weiterhin strukturell unterdrückt und ausgebeutet. Aktuelle Kämpfe gegen den alltäglichen Sexismus am Arbeitsplatz und in der Werbung, gegen sexualisierte und häusliche Gewalt, gegen die Ausbeutung von Frauen* in der Sorgearbeit, für eine sexuelle Selbstbestimmung und eine Gleichstellung beim Sorge- und Adoptionsrecht sowie der Kampf um das Recht auf Abtreibung zeigen, dass der Feminismus nichts an seiner Notwendigkeit verloren hat.
Der 8. März steht für eine Geschichte von Kämpfen, an die wir anknüpfen wollen! In diesem Sinne solidarisieren wir uns mit alljenen in der Welt, die am 8. März demonstrieren, feiern, streiken, sabotieren, tanzen. Angesichts der sich zuspitzenden Wirtschaftskrise haben wir uns dieses Jahr auf den Care-Bereich konzentriert. Care-Arbeit bedeutet Betreuungs-, Pflege-, Sorge-, Haushalts- und Beziehungsarbeit. Care-Arbeit ist, ob unbezahlt oder bezahlt, ob privat oder öffentlich, überwiegend von Frauen* geleistete Arbeit, die weitgehend unsichtbar bleibt.
Viele erleben wie neben Lohnarbeit, Erziehung, Haushalt und Bildung wenig Zeit für Fürsorge, Selbstsorge und Muße bleibt. Oftmals individualisiert sich die Überforderung moralisch und wir geben uns selbst die Schuld für all den Stress. Von falschem Zeitmanagement, fehlender Flexibilität und zu geringer Belastbarkeit ist dann die Rede. Es lohnt sich ein Blick hinter die kapitalistische Kulisse, um zu verstehen, dass es sich nicht um Zufälle oder individuelles Versagen handelt, sondern um sich verschärfende wirtschaftliche Bedingungen. Durch Privatisierungen im Pflege- und Gesundheitsbereich, Ökonomisierung der Bildungslandschaft, Prekarisierung von Arbeitsverhältnissen und estriktive HartzIV-Gesetzgebungen entsteht ein Mehr an Reproduktionsarbeit in den Familien und sozialen Zusammenhängen. Die Auswirkungen dieser sozialen Reproduktionskrise sind geschlechtsspezifisch und hängen eng mit der zunehmenden Bedeutung von Lohnarbeit für alle und den wachsenden familiären Anforderungen vor allem für Frauen* zusammen.
*Mit Postkarten zum Weltfrauen*tag wollen wir auf diese Thematik aufmerksam machen. Sie sind hier und hier runterladbar und wir freuen uns über Verschicken, Weitergeben und Verteilen.*
Außerdem freuen wir uns, dass Gabriele Winker einen Vortrag zu dieser Thematik in Tübingen halten wird. Gabriele Winker plädiert ausgehend von einer Analyse der oben beschriebenen sozialen Reproduktionskrise für einen grundlegenden Perspektivenwechsel. Sie zeigt, dass in einem kapitalistischen System, in dem Profitmaximierung oberste Priorität hat, Zeit und Ressourcen für die Selbstsorge ebenso wie für die Sorge für Andere nur unzureichend realisierbar ist. Mit ihrem Aufruf zur Care Revolution wird Gabriele Winker ausführen, wie die mit Frauen* stereotyp verbundene Reproduktionssphäre neu bewertet werden kann und die für alle Menschen wichtigen Aufgaben in Bildung und Erziehung, Gesundheit und Pflege in das Zentrum von politischem Handeln gestellt werden können.
*Soziale Reproduktion in der Krise — Care Revolution als Perspektive*
*Dienstag, 12.03.2013, 20.30 Uhr, Club Voltaire*
*Gabriele Winker*
(Feministisches Institut Hamburg sowie Professorin für Arbeitswissenschaft und Gender Studies an der TU Hamburg-Harburg und Leiterin des Arbeitsbereichs Arbeit-Gender-Technik)
QueerFem Ag der interventionistischen Linken Tübingen
[1] <#_ftnref1> Wenn wir von Frauen* sprechen ist es uns wichtig zu betonen, dass wir diese als gesellschaftlich konstruierte aber wirksame Kategorie verstehen, die tendenziell dazu führt, Unterschiede zwischen Frauen* zu verdecken. Wir wollen stattdessen Unterschiede zwischen Frauen* hinsichtlich ihrer gesellschaftlichen Positionierung als z.B. Weiße, als Person of Colour (PoC), als Migrant*in, als Lesbe, Cis- oder Trans*Frau wahrnehmen und in unseren Kämpfen mitdenken.